Monitoring, Wald

Wissenschaftliche Resultate aus dem Rohrach begeistern Ökologinnen und Ökologen

Umfangreiche Forschungen der letzten Jahre im Naturwaldreservat Rohrach legen bemerkenswerte Ergebnisse offen und bestätigen den Wert des Schutzgebietes. Der folgende Bericht publiziert erste Ergebnisse und lässt hinter die Forschungskulissen blicken.

Totholz im Rohrach © RM Europaschutzgebiete

Das Naturschutzgebiet Rohrach in den Gemeindegebieten von Hohenweiler und Möggers ist seit 1992 ein Naturwaldreservat. Im Schutzgebiet sind Nutzungen ausgeschlossen und einer natürlichen Waldentwicklung und Dynamik wird auf 50 ha uneingeschränkt Raum gegeben. Ergänzend ist seit 1995 das Gebiet auch ein Europaschutzgebiet und damit Teil des Natura 2000-Netzwerks. Unmittelbar an der Staatsgrenze schließt ein deutsches Natura 2000-Gebiet mit 170 ha an, welches den Wert für eine staatenübergreifende Biotopvernetzung nochmals steigert. Die Ausweisung zum Naturwaldreservat 1992 zielt auf eine ungestörte Waldentwicklung für wissenschaftliche Beobachtungszwecke ab. Eine umfassende und tiefgehende Ersterhebung, geleitet von Prof. Georg Grabherr, lieferte bereits in den 90er Jahren wichtige Einblicke zur Waldstruktur bzw. ausgesuchten Arten.[1] Damit besteht die Grundlage, die Entwicklung ehemals bewirtschafteter Wälder hin zu Naturwäldern wissenschaftlich beobachten und dokumentieren zu können.

Eine ökologische Schatztruhe

Deutsche Forstkollegen von der Schutzgebietsbetreuung © RM Europaschutzgebiete

Das Untersuchungsgebiet - das Naturwaldreservat Rohrach © RM Europaschutzgebiete

Kartierungen auf deutscher Seite beginnend ab 2017 ergänzen die Forschungsdaten und haben bedeutende Ergebnisse mit sich gebracht. Neben seltenen Pilzen und sogenannten „Urwaldreliktarten“ – also vom Aussterben bedrohte, ursprünglich urwaldbesiedelnde Insektenarten, die auf Totholz und die strukturellen Charakteristika von Naturwäldern angewiesen sind – konnten die deutschen Kolleginnen und Kollegen mit Superlativen aufwarten. Mit den insgesamt 113 Arten – darunter zwei überaus seltene Urwaldreliktarten sowie eine für die Wissenschaft neue Art aus der Familie der Rindenkäfer [2] – wurde die Erwartungshaltung an den Naturwald weit übertroffen. Auch für sehr seltene Pilze zeichnet sich das Gebiet aus.
Die Rohrachschlucht ist treffend als ein „Allgäuer Schatzkästchen für Europas Naturerbe“ bezeichnet worden.[3] Dies wiederum hat die Verantwortlichen auf österreichischer Seite veranlasst, zum 30-jährigen Jubiläum des Naturwaldreservates eine tiefgehende Folgeuntersuchung zu beauftragen. In der Hoffnung aus dem „Schatzkästchen“ eine grenzüberschreitende „Schatztruhe“ zu öffnen, ist mit Hilfe des Waldfonds der Republik Österreich eine neuerliche waldökologische Bestandsdokumentation in Angriff genommen worden. Die Waldstrukturerhebung ergänzen noch weitere Untersuchungen zu Vögel, Pilze, Flechten und Käfer. Insgesamt umfasst das Projekt ein Volumen von ca. 150.000 €.

Alt tritt auf Neu

Die Ersterhebung aus dem Jahr 1999 basiert auf einer genau dargelegten Methodik, um späteren Folgeuntersuchungen als Vergleichsmaßstab zu dienen. Damals sind mit dem Landesvermessungsamt und der Forstbehörde zur Markierung der 46 Inventurpunkte sowie den vier Dauerversuchsflächen Eichenpflöcke eingeschlagen worden und Waldstrukturdaten zu Baumarten, Baumhöhen, Totholzanteil, Vegetationstypen und Waldgesellschaften aufgenommen worden. Dreißig Jahre nach Unterschutzstellung folgt die Wiederholungsaufnahme im Wesentlichen der gleichen Methodik mittels Inventurpunkten, Transekten und Dauerversuchsflächen durch die Kärntner Expertinnen und Experten der Firma E.C.O. – Institut für Ökologie.

Feldaufnahmen © Florian Raidt

Vegetationsaufnahme Dauerversuchsfläche © E.C.O Klagenfurt

Totholzaufnahme © E.C.O Klagenfurt

Die neuen Aufnahmen wurden jedoch an die heutigen Möglichkeiten angepasst. Durch die rasante Weiterentwicklung von Vermessungsmethoden kann in der Waldstrukturerhebung an den technologischen Fortschritt der Digitalisierung angesetzt werden. Die Basisdaten werden nunmehr auch durch eine hochqualitative Erfassung des Waldes mittels Fernerkundung ergänzt. Wo früher Theodolit, Maßband und Kompass zum Einsatz kamen, unterstützen heute Drohnen, GPS und Tablets die Kartiertrupps. Für die Befliegung mit einer Spezialdrohne samt entsprechenden Sensoren zeichnete sich die Firma Alto Drones aus Südtirol verantwortlich. Laservermessung per Drohne, gepaart mit terrestrischen Laserscans liefern ein präzises 3d-Modell vom Rohrach.

Drohne mit Scanner © Alto Drones

Drohnenbefliegung, Routenplanung © E.C.O Klagenfurt

Terrestrisches Laserscanning © RM Europaschutzgebiete

Drohnenbefliegung, Punktewolke © E.C.O Klagenfurt

Die Befliegung mit einer Spezialdrohne samt entsprechenden Sensoren hat die Firma Alto Drones aus Südtirol durchgeführt. Laservermessung per Drohne, gepaart mit terrestrischen Laserscans liefern ein präzises 3d-Modell vom Rohrach. Die klassischen Felddaten können mit dem digitalen Abbild des Rohrachs verglichen, und Modelle für zukünftige Erhebungsmethoden damit entsprechend erprobt und kalibriert werden. Die Datenaufbereitung, Modellberechnungen und Analysen der Fernerkundung wurden von der Technischen Universität Wien – Department für Geodäsie und Geoinformation bearbeitet.
Die gesamten Ergebnisse werden demnächst in einem umfassenden Bericht veröffentlicht, vorab kann aber bereits verraten werden: im Naturwaldreservat Rohrach lassen sich sowohl in der Struktur des Waldes als auch in den Waldgesellschaften bedeutende Entwicklungen erkennen. Das Gebiet hat sich in Bezug auf Waldzusammensetzung, Totholz, Dynamik etc. deutlich in Richtung eines Naturwaldes entwickelt.

Herausfordernde Geländearbeiten

Landesrat Zadra mit alter Vermarkung und den Gebietsbetreuern © Florian Raidt

Vermessungspunkt im Rohrach © Florian Raidt

Ohne klassische Feldarbeit kommt die Wissenschaft trotz aller Technologien zum Glück noch nicht aus und so muss neben der umfassenden Computerarbeit das Datenmaterial immer noch vor Ort gewonnen werden. Die Stichprobenpunkte sowie Dauerversuchsflächen wurden im Jahr 2022 unter Zuhilfenahme von digitalen Gelände- und GPS-Daten neuerlich aufgesucht und mit Stahlrohr-Vermessungsmarken gekennzeichnet. Die Arbeiten in dem steilen Terrain bei schlechtem Wetter waren äußerst herausfordernd und teilweise auch gefährlich. Einige Bereiche konnten nur mit Seilsicherung oder gar nicht mehr begangen werden.
Im Jahr 2023 folgten dann die Erhebung durch weitere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der deutsche Ornithologe Daniel Honold ist ein Experte für die lokalen Vogelvorkommen im Allgäu und Vorarlberg. Neben den zu erwartenden Waldvogelarten waren auch bemerkenswerte Arten dabei und die Sichtung eines Uhus zu Beginn im Frühjahr ließ die Vorfreude auf eine spannende Kartierungsperiode noch steigen. Neben der eigentlichen Artenliste wird aktuell der Vergleich mit den Ersterhebungsdaten von Georg Willi Einblicke in die Entwicklung des Rohrach bringen.

Bachquerung bei Hochwasser © E.C.O. Klagenfurt

Begehung einer Rutschfläche © E.C.O Klagenfurt

Materialtechnisch und logistisch herausfordernder wurde es mit den Kolleginnen und Kollegen vom Ökoteam aus Graz, die sich auf die Suche nach xylobionten Käfern machten. Dies sind holzbewohnende und insbesondere totholzbesiedelnde Käfer. –  Für deren Nachweis braucht es sogenannte Flugfensterfallen. Um diese im Gebiet in ausreichender Höhe zu installieren, wurden die Zugseile mittels Pfeil und Bogen in die Astbereiche der Bäume geschossen. Über Handsammlung, Klopfschirm und Leuchtzelte wurden zudem möglichst viele Insekten für das Labor in Proberöhrchen gesammelt. Zur Freude aller zeigten bereits die ersten Sichtungen einzelne sehr seltene bzw. gefährdete Käferarten und auch Urwaldreliktarten. Die finale Artenliste wird die bemerkenswerten deutschen Funde nochmals bestätigen und ergänzen.

Installation der Fensterfallen mit Pfeil und Bogen © RM Europaschutzgebiete

Nachtleuchten für Insektenkartierung © Ökoteam Graz

Proben xylobionte Insekten © Ökoteam Graz

Ganz ohne Material aber dafür sehr bedächtig suchend, mit dem Blick auf ein ganz eigenes Reich von Lebewesen, machten sich die Pilzkundler vom FH Johanneum Graz in die Tobel des Rohrachs auf. Auch wenn nicht Eingeweihten die Pilzkunde mit tausenden von Arten ein Mysterium bleiben wird, die Begeisterung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern über einen Fund äußerst seltener oder für Vorarlberg noch nicht nachgewiesener Arten ist auch für Laien mehr als „ansteckend“. Die gerade aktuell publizierte Rote Liste der Pilze Vorarlbergs kann durch mehrere neue Funde aus dem Rohrach ergänzt werden. Hinzu kommen noch weitere gefährdete oder seltene Pilzarten, die im Rohrach einen Lebensraum finden.

Mit Dr. Veronika Pfefferkorn-Dellali als Flechtenexpertin aus Salzburg nahm auch noch eine Forscherin teil, die bereits bei der Grundlagenerhebung in den 90er Jahren mitgewirkt hatte. Sie wurde vom in Fachkreisen weltweit geschätzten Prof. Roman Türk begleitet. Flechten gelten als hervorragende Indikatoren für Umwelteinflüsse, insbesondere Luftschadstoffe. Erschreckenderweise fanden sich im Rohrach nur mehr sehr wenige Flechtenarten. Die Untersuchungsmethodik wurde daher über das Rohrach hinaus ausgeweitet und wird noch 2024 weiterverfolgt, um eine genauere Ursachenbestimmung liefern zu können. Es zeigt sich aber, dass die Forschung im Rohrach noch lange nicht abgeschlossen ist und eigentlich erst richtig beginnt. Auch bei der Fernerkundungsmethodik ergaben sich neue Forschungsfragen, die über eine Diplomarbeit an der TU Wien weiterverfolgt werden sollen und somit auch jungen Forscherinnen und Forschern den Weg in die Tobel des nördlichen Vorarlbergs eröffnen.

Kartiertrupps im Feld © RM Europaschutzgebiete

Was für ein Name für einen Pilz: Rosavioletter Klumpfuß (Cortinarius sodagnitus) © Friebes

Naturwaldforschung im Fokus

Untersuchungen zu naturnahen Wäldern und deren Biodiversität sind derzeit stark nachgefragt. Es stellen sich vermehrt Fragen zu Klimawandelanpassungsstrategien sowie Waldzustandsaspekten auf wissenschaftlicher und politischer Ebene. Eine zentrale Frage ist dabei die mögliche Steigerung der Kohlenstoffspeicherung in Wäldern, die sich von Wirtschaftswäldern zu Naturwäldern entwickeln, und wie sich diese Entwicklung auch auf andere Ökosystemleistungen auswirkt. Hinsichtlich der aktuellen Herausforderung des Klimawandels stellt das bedeutende Kohlenstoffspeicherpotenzial von Wäldern eine wichtige Stellgröße für das Erreichen der Pariser Klimaziele dar. Das Thema der „Proforestation“ also der Steigerung von Kohlenstoffspeicherung und Biodiversität in bestehenden Wirtschaftswäldern gewinnt mehr und mehr an Bedeutung und findet sich in unzähligen nationalen und internationalen Strategien.

Mit typischen Tannenwäldern der submontanen Stufe stellt das Rohrach österreichweit eine Besonderheit dar und bietet für das niederschlagsreiche Alpenvorland eine Referenzfläche. Das Land Vorarlberg kann hier in Zusammenarbeit mit Bayern einen erheblichen Beitrag in der Naturwaldforschung leisten. Da die Außernutzungsstellung schon 30 Jahre zurückliegt, hat das Rohrach einen bedeutenden Vorsprung gegenüber allen neu einzurichtenden Referenzflächen.

[1] Grabherr, G. et al. (1999): Ein Wald im Aufbruch – Das Naturwaldreservat Rohrach, Hrsg. Bristol Stiftung.
[2] Schmidl, J. & Bußler, H. (2018): Totholzkäfer-Kartierung Tobelwälder Schwaben. – Entomologisches Fachgutachten im Auftrag der Reg. v. Schwaben (unveröffentlicht).
[3] Mittermeier, B. (2020): Das FFH-Gebiet Rohrachschlucht – ein Allgäuer Schatzkästchen für Europas Naturerbe.  ANLiegen Natur 42(2): 33–40, Laufen.

Europaschutzgebiet Rohrach

Fläche: 50 ha
Höhe: 540 bis 720 m. ü. A.
Lage: in den Gemeindegebieten von Hohenweiler und Möggers im nördl. Leiblachtal an der Grenze zu Deutschland

Weitere Infos: Europaschutzgebiet Rohrach

Mit Unterstützung des Waldfonds Österreich

TU Wien © TU Wien